Die Jungen aus der Feldstrasse, Teil 41


Sie kamen gut voran, bis sie am nächsten Tag von einer Anhöhe aus eine Wallanlage sahen.
Zuerst hielten sie es für eine einfache Befestigung, vielleicht ein Grenzfort. Aber je weiter ihre Blicke wanderten, desto klarer wurde ihnen, dass es sich um eine viel größere Anlage handeln musste. Schließlich erreichten ihre Augen eine Linie in weiter Ferne und nach und nach begriffen sie, dass hier ein Bereich abgeriegelt wurde.
"Die Festung", verkündete Kol Therond mit einer großen Bewegung in Richtung eines Hügels im Zentrum. Was sie dort sahen, wirkte weniger wie eine Festung und mehr wie ein großer Steinblock.
"Das da hinten? Was ist es?"
"Wie ich bereits sagte: Die Festung?"
"Einfach 'Die Festung'?"
"Sehr richtig."
"Und was ist es nun?"
"Habe ich das nicht bereits gesagt?"
"Sie haben gesagt, dass das 'Die Festung' heißt", schaltete sich jetzt Gunnar ein. "Und ich würde annehmen, dass irgendwer sich dort verteidigt. Aber ich glaube, was Malandro eigentlich wissen will, ist, warum das Reich der Klifsen einen Wall darum herum gebaut hat. Was ist so gefährlich an 'Der Festung'?"
"Es sind nicht nur die Klifsen. Wenn sie genau auf die der Festung abgelegenen Seite blicken wollen, dann sehen sie, dass dort die Anlagen aus Stein gefertigt sind. Dort befinden sich die Hügelstätte."
Nachdem selbst der Buttler seinen Hals gestreckt hatte, um die entfernten Stellungen besser sehen zu können, kehrten die Blicke zum Botschafter zurück, der überrascht zu sein schien, dass auch diese Ausführung nicht genügt zu haben schien.
"Nach allen Informationen, die mir zur Verfügung stehen, handelt es sich bei diesem ungewöhnlichen Gebäude um den Sitz von jemandem, der nicht will, dass man sich der Festung nähert. Alle Missionen, um mehr über diesen Ort zu erfahren, diplomatische und geheime gleichermaßen, sind bisher gescheitert."
"Und mit gescheitert meine sie?"
"Wir haben nie wieder etwas von ihnen gehört."
Die Jungs nickten. Genaugenommen hatte es nur eine Antwort geben können. Trotzdem betrachteten sie die Festung jetzt mit anderen Augen.
"Dann reiten wir drum herum."
"Oder wir können auch absteigen und einen gemütlichen Spaziergang machen." Malandro stützte sich in den Steigbügeln ab, um seinem Gesäß ein wenig Luft zu verschaffen.
"Gute Idee", stimmte Gunnar ihm zu, "aber in welche Richtung?"
"Na, zur anderen Seite."
"Nein, ich meine links oder rechts rum?"
"Ich fürchte, dass es keine Rolle spielt."
"Warum nicht? Die werden doch schließlich nicht mittendurch gehen."
Was Milik aussprach, war in etwa das, was Malandro auch gedacht hatte. Gunnar hingegen ging ein Licht auf.
"Die Oravahler sind genau in diese Richtung gegangen. Sie wollten hierher."
"Sind wir sicher, dass sie hierher gegangen sind?"
"Sind wir nicht, aber wir sind ihnen, so weit wir konnten, gefolgt und dies wäre das Ziel, wenn wir davon ausgehen, dass sie ihren Weg fortgesetzt hätten."
"Vielleicht sollten wir fragen?"
"Fragen? Wen denn?"
"Wachen?"
"Du willst zu einem der Forts gehen und anklopfen?"
"Einen Augenblick Herr van der Linden. Herr Sabrecht könnte einen gangbaren Weg aufgetan haben."
"Moment. Haben wir nicht die ganze Zeit versucht, vor ihnen zu fliehen."
"Sie verstehen mich falsch, Herr van der Linden. Ich will die Wehrwacht auf unserer Seite befragen. Und damit meine ich die hügelstättische Seite der Wehranlage. Auch dort drüben stehen Tag und Nacht Wächter, und beobachten die Ebene. Ich muss zwar meine Zweifel daran eingestehen, dass sie sich an alle Wachtprotokolle gehalten haben, aber sollte eine Gruppe tatsächlich die Ebene durchquert haben, dann sollte es von mindestens einem Turm vermerkt worden sein."
Die Feldstraßler überlegten einen Moment, sahen dabei sogar kurz Milik an, der jedoch nur verwirrt zur Festung hinüberblickte.
"Wie rum reiten wir dann?"

Am nächsten Tag erreichten sie den ersten Turm der Hügelstätte, der gleichzeitig als Grenzübergang diente. Hier verwandelte sich der schmutzige, unleidliche Kol Therond zurück in den Diplomaten, den sie in Xpoch kennengelernt hatten. Und nicht nur das: Er zeigte, dass der Befehlston, den er gegenüber seinem Buttler und Milik an den Tag legte, nur ein kleiner Teil seiner Autorität war.
"Wir benötigen sofortigen Zugriff auf die Überwachungsdaten der letzten drei Tage."
"Von welchem Turm, Herr Therond?"
"Von allen Türmen. Und nehmen sie ein wenig Geschwindigkeit auf."

In der nächsten viertel Stunde trafen die ersten Berichte ein und es wurde schnell deutlich, dass sich sieben Gestalten der Festung genähert hatten und nicht wieder herausgekommen waren.
"Das wäre dann wohl geklärt."
"Was?"
"Kol hat doch gesagt, dass da niemand mehr rauskommt."
"Ich würde es begrüßen, wenn sie mich in diesem Umfeld mit meinem vollen Namen oder meinem Titel ansprechen würden."
"Verstehe, Botschafter", grinste Malandro, wurde aber unter dem strengen Blick des Hügelstätters sofort wieder ernst.
Glücklicherweise musste er diesen Blick nicht lange ertragen, denn gerade in diesem Moment brachten zwei Wächter einen schmutzigen, etwas müden jungen Mann und einen xpochschen Wächter herein.
"Hallo, ihr bannigen Kerle", brüllte Tiscio zwischen dem Gezerre und Gestoße hervor.
"Tis? Wie kommst du denn her?"
"Gleich. Sobald man nicht mehr an mir ... ugh ... nicht mehr herumschubst." Tiscio warf Kol Therond einen Blick zu.
Wäre er ein normaler Mensch und kein hügelstättischer Spion und Diplomat gewesen, hätte er vermutlich die Augen verdreht. So winkte er nur den Wächtern, und die Xpochler stolperte einen Schritt nach vorne.
"Groß!"
Malandro ging auf seinen Freund zu und umarmte ihn, was jener nicht ganz erwiderte. Er wehrte sich jedoch auch nicht dagegen, was immerhin etwas war.
"Und wie bist du jetzt hierhergekommen? Wolltest du nicht mit Fabricio zur Frühlingskönigin?"
"Wo ist überhaupt Fabricio?"
"Ganz ruhig. Wir warn ja bei der Frühlingskönigin. Wir haben auch mit ihr gesprochen und sie sagt, dass wir die Oravahler dringend aufhalten müssen. Sie hat irgendwas von einer Festung gesagt, die sie nicht verlassen dürfen." Er sah die anderen an, ob sie ihm vielleicht mehr dazu sagen könnten. Als jedoch nicht gleich eine Erläuterung erfolgte, setzte er seinen eigenen Bericht fort. "Auf jeden Fall hat mich die F.K. mit einem Gebet hierhergeschickt. Ich wusste nicht, dass sie das kann. Vilet hat es nicht gekonnt. Zumindest hat sie es nicht gemacht. Aber was weiß ich schon, was eine F.K. tun kann? Ich glaube, sie hat nie alles gemacht, was sie hätte tun können. Ich meine Vilet. Und was Fabricio angeht, dem hat sie gesagt, dass er noch was hier zu tun hat. Also ich meine bei seiner Stadt. Deswegen ist er jetzt nicht hier. Was schade ist. Seine Heilungen waren bannig praktisch."
Während Tiscio gesprochen hatte, war es im Raum sehr still geworden. Alle betrachteten ihn und nahmen mit ihm zusammen einen ersten kräftigen Atemzug, sobald er endlich endete.
"Sehr schön, dann sind ja die drei Armbruster wieder zusammen." Mit diesem Verweis auf einen alten Abenteuerroman ließ Kol Therond die unbelesenen Xpochler verwirrt zurück und wandte sich wieder dem kommandierenden Offizier zu.
"Es ist alles in Ordnung. Herr Canil gehört zu uns." Nach einem kurzen Blick fügte er hinzu: "Er ist ungefährlich."
Glücklicherweise hörte Tiscio schon nicht mehr zu, weil er gleich weitererzählen musste: "Aber ich sage euch. Die ist ja schon bannig und alles, und den Trick mit dem Transport hierher - ehrlich, schwer beeindruckt. Aber sie ist halt nicht Vilet. Ich meine, Vilet ist so freundlich und weise. Das war die nicht. Na, freundlich war sie schon, aber nicht so wie Vilet und ich bezweifle, dass sie so weise ist, wenn ihr wisst, was ich meine."
Es dauerte eine ganze Weile, bis Tis endlich weit genug von seiner Euphorie herunterkam, dass er sich auch für das Abenteuer seiner Freunde interessieren konnte. Aber dann war er gebührend beeindruckt.
Und auch ein wenig besorgt wegen Gunnar.

Am nächsten Morgen traf ein Trupp von Soldaten ein. Ihre Ausrüstung und Uniformen ließen sie nicht als Einheit erscheinen. Sie trugen jedoch alle die Abzeichen des SLD. Sie mussten eine ganze Weile ihre Köpfe zusammenstecken, um dahinterzukommen, was diese Abkürzung bedeuten mochte, letztlich verriet sie jedoch die Ehrfurcht, mit der die Wachen dieses Stützpunktes sie behandelten.
"Sonder-Luft-Dienst", stellt Malandro fest und Tiscio nickte.
"Klingt für mich eher wie ‘ne ornithopterfliegende Gruppe von Postboten."
"Pscht" machten seine Freunde automatisch. "Lass die das nicht hören."
"Und wer sind sie jetzt?"
"Eine der gefürchtetsten Spezialeinheiten der Hügelstätte."
"Es heißt, sogar die MWA 3 hätte schiss vor ihnen?"
"Ja, das heißt es. Aber nur bei den Rüsterpiloten. Die Mark-Wacht Abteilung hat vor nichts Angst."
"Sag nicht, du willst irgendwann zu denen?"
"Nein, natürlich nicht. Ich bin ein Berti und will es bleiben."
"Dafür verteidigst du die MWA aber recht heftig."
"Können wir zu den SDL ...", "SLD", "'tschuldigung: 'SLD' zurückkommen? Was macht sie so gefährlich?"
"Magie."
"Magie? Sind das alles Magier?"
"Heißt es."
"Danach sehen sie aber gar nicht aus."
Darauf konnte Malandro nur mit den Schultern zucken. Er hätte gerne angemerkt, dass Unterschnitt auch nicht nach einem Magier aussah. Wenn er sich jedoch die Kerle betrachtete, musste er zugeben, dass es einen Unterschied zwischen "Nicht-Danach-Aussehen" und "Eher-Das-Gegenteil-Davon" gab.

Die Jungen aus der Feldstrasse